Von der Idee zum Abbruch der Dämme

Alles begann mit sanierungsbedürftigen Dämmen

Seit 1962 boten die Dämme einen guten Schutz. Grössere Überschwemmungen des Kulturlandes oder gar Dammbrüche gehörten der Vergangenheit an. Doch die Dämme kamen in die Jahre. Viele Risse öffneten sich und die Erosion erfasste das Dammfundament. Deutlich sichtbare Absenkungen auf der Dammkrone waren die Folge. Um den Hochwasserschutz zu gewährleisten, müssten die alten Dämme für ca. 700‘000 Fr. saniert werden.
Dies brächte einige Nachteile mit sich. Die Risse dienen den Kreuzottern als wertvolle Habitate. Sie einfach zuzupflastern käme deshalb nicht in Frage. Zudem müsste die Gemeinde die Dammsanierung zu 100 % selber bezahlen. Und nach ungefähr 20 Jahren wäre die nächste Sanierung fällig, die ganze Aktion also nicht nachhaltig. Andere Ideen mussten her. So kamen Revitalisierungsmassnahmen ins Gespräch. Eine Revitalisierung schützt nicht nur vor Hochwasser und wertet die Landschaft und den Lebensraum vieler Tier- und Pflanzenarten auf, sondern wird auch stark von Bund und Kanton subventioniert.

Der Inn bei Bever beschäftigte Studierende in Zürich

Im Rahmen ihres Studiums führen angehende UmweltnaturwissenschafterInnen an der ETH Zürich eine Fallstudie durch. Anhand eines konkreten Problems aus der Praxis erarbeiten die jungen Leute Lösungsvorschläge, wobei sie verschiedenste betroffene Aspekte und Interessen mitberücksichtigen müssen.
Die Idee einer Revitalisierung des Inns bei Bever war wie gemacht für diese Fallstudie. Die Studierenden besuchten Isellas und die Rossweide und erarbeiteten in Gruppen verschiedene Vorschläge, wie eine Revitalisierung aussehen könnte. Bereits die Studierenden kristallisierten zwei Stolpersteine heraus, wenn der Fluss breiter werden soll: die Isellasbrücke bildet ein Nadelöhr und es wird Land gebraucht, das heute nicht dem Fluss gehört, allenfalls Landwirtschaftsland.
Doch die Ideen der Studierenden sowie die erfolgreich umgesetzte Flazverlegung bei Samedan lieferten die Inspiration für eine Revitalisierung.

Verschiedene Interessengruppen diskutierten mit

2007 gab der Gemeindevorstand den Auftrag, eine Konzeptstudie für ein Revitalisierungsprojekt zu entwickeln. Eine Ingenieurgemeinschaft bestehend aus Eichenberger Revital, Hunziker, Zarn und Partner sowie dem Büro ecowert übernahm diese Arbeit. Da nicht nur der Hochwasserschutz, sondern auch die Natur im Vordergrund standen und somit viele verschiedene Interessen und Fachgebiete betroffen waren, riefen sie ein Projektbegleitungsteam ins Leben. Vertreten waren kantonale Ämter, Naturschutzorganisationen und die lokale Bevölkerung (Landwirtschaft, Tourismus, Gemeindevorstand). So sassen bis zu 14 Personen an einem Tisch zusammen und suchten nach gemeinsamen Lösungen. Dies war eine wichtige Voraussetzung, dass das Projekt auf eine breit abgestützte Akzeptanz zählen konnte.
Das Amt für Natur und Umwelt (ANU) Graubünden unterstützte bereits diese Planungsarbeit grosszügig.

Verschiedene Varianten standen zur Auswahl:

Variante 0: Es findet keine Revitalisierung statt. Man repariert lediglich die sanierungsbedürftigen Dämme, damit der Hochwasserschutz wieder gewährleistet ist. Dabei nimmt man Rücksicht auf die Kreuzottern und baut Habitate für sie ein. Die Kosten belaufen sich auf ca. SFr. 700‘000.-, wofür die Gemeinde selber aufkommen muss.

Variante 1: Man revitalisiert den Mündungsbereich des Beverins und die Binnengewässer auf der linken Seite bis zur Isellasbrücke. Der Auslauf des Gravatschasees soll nicht mehr in den Inn, sondern direkt in die rechtsufrigen Binnengewässer fliessen und diese revitalisieren. Die Dämme rechts sowie unterhalb der Isellasbrücke bleiben aber erhalten und werden saniert. Die Kostenschätzung kommt auf SFr. 2,3 Mio., wobei für die Revitalisierungsmassnahmen mit Unterstützung gerechnet werden kann.

Variante 2a: Hier ist geplant, den Inn von der Isellasbrücke an abwärts auf der rechten Seite aufzuweiten und die Binnengewässer zu revitalisieren. Im übrigen Flussabschnitt findet lediglich eine Sanierung, natürlich kreuzotterfreundlich, der bestehenden Dämme statt. Die geschätzten Kosten betragen SFr. 6.6 Mio., wobei die Revitalisierungsmassnahmen subventioniert würden.

Variante 2b: Diese Variante sieht vor, zwischen der Mündung Beverin und der Isellasbrücke eine linksufrige Aufweitung und unterhalb der Isellasbrücke bis zur Gemeindegrenze eine rechtsufrige Aufweitung zu realisieren. Dabei würde die Isellasbrücke flussabwärts verschoben. Damit verbunden wäre auch eine Verlegung der Isellasstrasse. Diese Variante würde mit SFr. 8.6 Mio. zu Buche schlagen, auch hier wäre mit Subventionierungen zu rechnen.

Variante 3: Wie bei der Nullvariante ist keine Revitalisierung geplant. Die linksufrigen Dämme würden saniert, die rechtsufrigen Dämme jedoch aufgegeben. Das würde bedeuten, dass keine Sanierungsmassnahmen und auch kein Unterhalt mehr stattfinden. Für das potentielle Überflutungsgebiet müssten Nutzungsbeschränkungen formuliert werden und der Hof Isellas müsste mit spezifischen Massnahmen geschützt sein. Dies käme auf SFr. 1.5 Mio.

Die Projektgruppe „Revitalisierung Innauen“ sowie die planende Ingenieurgemeinschaft bewerteten diese Varianten. Dabei spielten folgende Kriterien eine Rolle: Lebensraumentwicklung für Tiere und Pflanzen, Landwirtschaft, Naherholungsgebiet für die Menschen, Projektkosten und der zukünftige Unterhalt. Als Sieger konnte sich die Variante 2b durchsetzen. Zur Verschiebung der Isellasstrasse sagte das Stimmvolk zu einem späteren Zeitpunkt Nein.

Natürlich hat sich die Variante 2b während der Planung bis zur Umsetzung noch verändert und weiterentwickelt. Wie tatsächlich gebaut wurde, lesen Sie in den Kapiteln «Der wild gewordene Inn» und «Der Inn und seine Binnengewässer».

Und so wurde gebaut

Die Revitalisierung fand in zwei Etappen statt.
In der ersten Etappe wurde der Inn zwischen dem Einlauf des Beverins und der Isellasbrücke auf der orographisch (in Fliessrichtung gesehen) linken Seite verbreitert und in der zweiten Etappe von der Isellasbrücke abwärts bis zur Gemeindegrenze auf der rechten Seite. Die neu gebauten Dämme sind soweit zurückversetzt, dass die bestehenden Auenwäldchen und Binnengewässer ins Flussbett integriert sind. Die durchschnittliche Breite des Inns wuchs von 15 Metern auf neu gut 90 Meter.

Technisches und Zahlen

Die gesamte Revitalisierung erstreckt sich von Gemeindegrenze zu Gemeindegrenze. Insgesamt wurde der alte Damm über eine Strecke von 2.2 km entlang des Inns und 150 m entlang des Beverins abgebrochen. Über dieselbe Distanz erstrecken sich die neuen Dämme. Die mittlere Flussbreite misst in der 1. Etappe neu 200 m und in der 2. Etappe 90 m.
Die Kosten für die erste Etappe beliefen sich auf SFr. 2.4 Mio. und für die zweite Etappe auf SFr. 9 Mio. Davon übernahmen das Bundesamt für Umwelt, das Amt für Natur und Umwelt Graubünden, Pro Natura Schweiz, der Fonds Landschaft Schweiz, der naturmade star-Fond vom ewz sowie die Ernst Göhner Stiftung den grössten Teil. Die Bauarbeiten in der ersten Etappe dauerten vom Frühjahr 2012 bis Herbst 2013 und in der zweiten Etappe vom Frühjahr 2017 bis Sommer 2020.